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10 Jahre Berliner Philharmoniker Recordings

Das Hauslabel der Berliner Philharmoniker feiert sein 10-jähriges Bestehen. Wir durften Geschäftsführer und Solocellist Olaf Maninger treffen und sprachen über die Erfolge der letzten Jahrzehnte, Veränderungen in der Klassikwelt und neue Herausforderungen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Qobuz tief in die Strukturen der Berliner Philharmoniker eintauchen darf. Bereits 2016 stand uns Olaf Maninger, Solocellist und Medienvorstand, in Berlin Rede und Antwort und sprach mit uns über das neu gegründete Label Berliner Philharmoniker Recordings. Nachdem bereits 2009 die Digital Concert Hall, eine eigene Streamingplattform für Live-Übertragungen und Konzertaufnahmen aus dem Archiv des Orchesters, ins Leben gerufen wurde, folgte mit der Gründung des eigenen Labels ein weiterer Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Nun feiert das Projekt sein zehnjähriges Jubiläum und wir haben uns acht Jahre nach unserem letzten Gespräch ein weiteres Mal mit Maninger getroffen, um das erste Jahrzehnt gebührend zu feiern, eine Bilanz der letzten Jahre zu ziehen und einen Ausblick in die Zukunft zu werfen.

Herr Maninger, was war Ihr erster Kontakt mit den Berliner Philharmonikern?

Ich glaube jeder Klassikmusikaffine und Interessierte kommt den Berliner Philharmonikern gar nicht aus dem Weg. Als ich die ersten Klassikstücke als Kind gehört habe, bin ich natürlich über die Berliner Philharmoniker gestolpert. Wo auch immer man eine Schallplatte ausgepackt hat, war das Orchester dabei. Ich glaube, alle meine ersten Aufnahmen waren Berliner Philharmoniker-Aufnahmen. Das war jedoch etwas, was mich gar nicht verwundert hat, sondern es war eine merkwürdige Selbstverständlichkeit. Yellow Label, Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan.

In dieser Zeit habe ich auch als Kind mit dem Musizieren angefangen. Zuerst gleichzeitig mit Klavier und Cello und mit fünf Jahren habe ich mich dann vollständig aufs Cello fokussiert. Sowohl in der Musikschul- und Vorstudienzeit, als auch während meines Studiums in Essen und Köln waren die Berliner Philharmoniker immer meine Begleiter. Ich habe dann in verschiedenen Orchestern als Gast gespielt, war viel solistisch und kammermusikalisch unterwegs und habe dann die Berliner Philharmoniker tatsächlich bei meinem ersten Probespiel 1994 wieder getroffen, wo ich das große Glück hatte, direkt beim ersten Versuch genommen worden zu sein.

Was war Ihrer Meinung nach die größte Veränderung in diesen letzten drei Jahrzehnten der Berliner Philharmoniker?

Als ich vor gut 30 Jahren in das Orchester kam, gab es noch die ganze Karajan-Generation. Das Orchester war recht alt und hat sich dann in diesen vergangenen drei Jahrzehnten komplett verjüngt, es ist eine ganz neue Generation hinzugekommen. Das Orchester war außerdem zweigeteilt — es gab ein Konzertorchester, das Berliner Philharmonische Orchester, und ein Medienorchester, die Berliner Philharmoniker, die Schallplatten, Osterfestspiele und Fernsehen-Aufnahmen gemacht haben. Jetzt, seit 20 Jahren, sind wir eine Stiftung und das ist eine riesige Veränderung.

Ich habe sehr früh angefangen, mich für das Orchester einzusetzen und war fast zehn Jahre lang Geschäftsführer der Berliner Philharmoniker, wo ich mich um alle medialen Tätigkeiten gekümmert habe. Schließlich haben wir die Stiftung ins Leben gerufen und diese beiden eben erwähnten Institutionen zusammengeführt. Seitdem bin ich im Stiftungsvorstand Mitglied und trage nicht nur eine Verantwortung für das Orchester, sondern auch für das Haus, die Philharmonie, den Kammermusiksaal, alle Gastveranstaltungen und alle nicht künstlerischen Mitarbeiter. Das war ein ganz schöner Quantensprung, aber auch unglaublich spannend.

Was die Entwicklung des Orchesters angeht, liegen zwischen Claudio Abbado, der noch ein bisschen in der Generation von Karajan steht, und Sir Simon Rattle oder jetzt Kirill Petrenko natürlich Welten. Was sich aber überhaupt nicht verändert hat, ist die musikalische Qualität. Den unbedingten Willen zur Qualität und zu tollen künstlerischen Momenten. Deswegen sitzen wir ja auch heute hier, denn wir feiern zehn Jahren unser eigenes Plattenlabel und vor 15 Jahren starteten wir die Digital Concert Hall mit der Übertragung all unserer Konzerte. Das hat das Orchester und auch meine Arbeit sehr verändert.

Am Kopf der Berliner Philharmoniker standen - und stehen - ohne Ausnahme herausragende und historische Persönlichkeiten, von Arthur Nikisch über Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan, Claudio Abbado und nun Kirill Petrenko. Wie sehr identifiziert sich das Orchester mit seinem Chefdirigenten?

Der Charakter und die Umgehensweise eines Chefdirigenten prägt das Orchester natürlich tiefgreifend, weil man schließlich sehr viel Zeit miteinander verbringt. Egal ob eine Person wie Claudio Abbado, Simon Rattle oder Petrenko an der Spitze steht, unser Orchester hat ein Eigenleben. Womit ich mich identifiziere, ist dieses fast 130-köpfige Ensemble von Spitzen-Musikern und -Musikerinnen mit den tollsten Leuten aus der ganzen Welt. Wir bestehen aus inzwischen über 30 Nationen und sind eine internationale Institution, die sich nur der Qualität unterordnet. Es besteht eine unglaubliche Demokratie und Selbstverantwortung und das von Anfang an, seit der Gründung 1882. Die Musiker und Musikerinnen haben sich selbstständig gemacht und diese “Orchesterrepublik” führen wir bis heute. Damit identifiziere ich mich.

Welche Rolle spielt dabei die Hauptstadt Berlin?

Das Orchester ist und bleibt ein Berliner Orchester. Das ist auch diesen 140 Jahren geschuldet, die wir hier residieren und auch die Fassade des Konzertsaals, der seit über 60 Jahren unsere Heimstätte ist, lässt einen Berlin sehr deutlich spüren. Die Philharmonie prägt Berlin und andersrum.

Seit der Gründung der Berlin Phil Media GmbH 2008 gibt es nun zudem einen Zweig, der die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Stiftung Berliner Philharmoniker ausübt. Darunter fallen vor allem die Digital Concert Hall sowie das Label Berliner Philharmoniker Recordings. War dieser Schritt für Sie notwendig, um mit der fortschreitenden Digitalisierung mitzugehen?

Es hat sich überhaupt nicht um ein “Mitgehen” gehandelt, denn als wir vor 18 Jahren die Idee einer Berlin Phil Media GmbH ins Leben gerufen haben, gab es noch gar nichts zum Mitgehen. Wir waren sozusagen Vorreiter. Wir haben uns dafür entschlossen, weil wir gemerkt haben, dass die klassische Musik ein bisschen aus der Gesellschaft fällt und die Verkäufe oder auch das Interesse an Neuveröffentlichungen von symphonischem Repertoire stark abgenommen haben. Programmplätze im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind zurückgegangen, es wurde einfach immer schwerer. Wir haben gedacht, dass bald alles um uns herum zerbröckelt. Und so kam die Motivation zu einer neuen Idee, um weiterhin in der Gesellschaft zu bleiben. Tatsächlich habe ich mir dann einfach, ganz naiv, die Frage gestellt: “Was wäre das Schönste?” Das Schönste wäre, wenn jedes Konzert übertragen wird, nicht nur im Ton, sondern auch mit Bild. Und noch schöner wäre es in CD-Qualität und mit HD-Bild. Und am schönsten wäre es, wenn es danach für immer im Archiv bleiben würde und man so eine Bibliothek der Berliner Philharmoniker über die Jahre aufbaut. Damals wie heute gab es nur ein Medium, wo dies möglich wäre, nämlich das Internet. Bis jetzt hat das Internet gehalten, was es versprach und sich für uns zu einer ganz tollen und wichtigen Auslieferungsform etabliert.

Damals gab es noch gar keine Rechte für das Streamen von Musik. Wir mussten uns alles ausdenken, mit den Musikern, mit den Musikverlagen, mit den Solisten und Dirigenten — wer bekommt wie viel? Lustigerweise haben wir unsere Kommunikation über Social Media ganz früh angefangen, da wir überhaupt kein Budget für Marketingausgaben oder Erzeugnisse und Werbung in irgendwelchen Printmedien hatten. Wir haben nach Möglichkeiten gesucht und die Leute meinten, dass Facebook interessant und cool sei, und ein paar Jahre später folgten dann Instagram, Youtube und X/Twitter. Dadurch, dass wir damit so früh angefangen haben, hatten wir schnell eine große Reichweite, denn es gab noch keinen Algorithmus, der unsere Posts filtert und man musste noch kein Geld dafür zahlen, um neue Fans zu generieren.

Die Berliner Philharmoniker sind bereits auf den größten Klassik-Labels, wie beispielsweise der damaligen EMI, der Deutschen Grammophon oder anderen Plattenfirmen vertreten. Woher kam die Intention vor über zehn Jahren, ein eigenes Plattenlabel zu gründen?

Ursprünglich hatten wir unter anderem einen großen Vertrag mit der Plattenfirma EMI — unser ehemaliger Chefdirigent Sir Simon Rattle war dort Exklusivkünstler. Jedoch hat sich die Marke EMI aufgelöst und man hat einfach schlicht und ergreifend gemerkt, symphonische Musik war nicht mehr interessant. Es waren eigentlich nur noch die großen Solisten und Solistinnen der Welt, wie Lang Lang oder Anne-Sophie Mutter, die einigermaßen Klassik-Alben verkauft haben, aber wer wollte schon eine Schumann-Symphonie?

Wieder haben wir uns hier die Frage gestellt, ob man vielleicht alles nur anders angehen muss. Wir wollten von Anfang an Projekte machen, die einen Sinn ergeben, dabei in Zyklen arbeiten und nicht vereinzelt irgendwelche Werke publizieren. Das CD-Format mit dieser kleinen Plastikbox und einem Minibooklet war überholt und wenn die Leute etwas kaufen, dann sind es viel eher Collector’s Items, die haptisch schön und ansprechend sind, mit einer aufwändigen Covergestaltung, einem richtigen Buch und Kollaborationen mit tollen Künstlern und Künstlerinnen. Wir mussten und wollten das Format ganz neu aufstellen und dabei erst gar nicht in den Preiskampf und die Diversifizierung der Labels einsteigen. Dabei wollten wir alles eben anders, in einem hochwertigen Produkt, zusammenführen — und am Anfang wurden wir dafür ausgelacht. Über uns wurde berichtet: Wie soll man sich diese CDs ins Regal stellen? Und unsere Antwort war: Stellt sie erst gar nicht in ein Regal! Davon abgesehen, dass wir schon damals nicht mehr daran geglaubt haben, dass es ein CD-Regal in 20 Jahren noch geben wird. Deswegen geht es gar nicht darum, ob unsere Produkte in einem Regal Platz haben oder nicht. Wir glauben daran, dass es in der Zukunft Bücher, Coffee-Table-Books und Collector’s Items geben wird — aber wahrscheinlich keine CD-Regale mehr. Auch hier hat uns die Geschichte ein bisschen Recht gegeben.

Sie ziehen nach zehn Jahren eine sehr positive Bilanz für das Label und die Stiftung. Welche Projekte kommen jetzt in der Zukunft auf Sie zu?

Es stehen spannende Projekte an, denn man muss sich schließlich ständig weiterentwickeln und sich auf die gegebenen Veränderungen immer neu einstellen. Was das Plattenlabel angeht, gehen wir natürlich sehr in Richtung eines digitalen Audiostreaming und sind gerade dabei, unsere erste eigene Digitalreihe zu veröffentlichen. Angefangen mit Solisten und Solistinnen, was sich aber sukzessive ausbreiten soll. Das ist ein Großprojekt und daraus folgt natürlich eine komplette Umstellung einer Label-Philosophie, deshalb möchten wir beides - digital und physisch - parallel aufziehen. Die physischen Veröffentlichungen sind in den letzten zehn Jahren nicht in den Himmel gewachsen, da stellen auch die Berliner Philharmoniker keine Ausnahme dar. Unsere Mission ist, eine kleine, aber feine Nische in der klassischen Musik zu werden und den Kundinnen und Kunden alles anbieten zu können, was mit den Berliner Philharmonikern zu tun hat — von Audio- und Videoaufnahmen über Interviews, Konzerte, Kinofilme und Dokumentationen bis hin zu “Behind the scenes” und Musikerportraits. Wir versuchen alles anzubieten und das ist noch ein langer Weg, um das zu schaffen.

Gibt es ein Ereignis oder ein Projekt, das Ihnen in den letzten 30 Jahren besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Es gibt so viele! Aber eine Erfahrung unter den besten ist und bleibt die Matthäuspassion in der inszenierten Version von Peter Sellars und mit Sir Simon Rattle. Das war wirklich unglaublich, diese Musik von Bach auf diese Art und Weise erleben zu können. Mit einem Chor, der alles auswendig gesungen hat, Sängern, die sich auf der Bühne frei bewegt haben und einem Orchester, das fantastisch gespielt hat — diese ganze Stimmung war einzigartig und sehr bewegend. Ein Projekt der jüngeren Vergangenheit sind natürlich die Tschaikowsky-Sinfonien mit Kirill Petrenko. Ich glaube, man kann sie einfach nicht besser interpretieren. Wir haben die Chance, so tolle Musiker und Musikerinnen bei uns zu versammeln und die Zusammenarbeit mit Kirill Petrenko ist ein riesen Glücksfall für das Orchester. Denn wir haben einen der tollsten, spannendsten, ernsthaftesten, bescheidensten und der Sache verpflichtenden und handwerklich hochbegabten Menschen als Chefdirigent an uns gebunden. Ich bin sehr gespannt auf alles, was noch kommen wird.