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Vorbesprechung: “Neil Young Archives Vol.III”

Am 6. September gibt der Loner den lang erwarteten Band 3 seiner Archives heraus und ergänzt damit seine berühmte Sammlung mit Songs aus der Zeit von 1976-1987.

Neil Young at Sporthalle St Jakob, Basel, Switzerland. September 14, 1982 © Joel Bernstein

Neil Young sammelt mit Begeisterung Züge, Autos, Kleider, Fotos, Schallplatten, Verstärker, und auch seine eigenen Aufnahmen, die er nach und nach aus dem Keller holt, wenn ihm die Zeit reif erscheint, was ziemlich oft der Fall ist. Seine unerwarteten Veröffentlichungen sind immer ein besonderes Ereignis. Das Erscheinen der Archivbände, in denen der Kanadier seine Karriere akribisch detailliert und chronologisch nachzeichnet, wird mit großer Spannung wartet. Neil Young hat bereits in den 80er Jahren mit dieser gigantischen Arbeit begonnen und dokumentiert sie auf einer speziellen Website (neilyoungarchives.com). Die wichtigste Reihe – es gibt mehrere – soll 50 Jahre in 5 Bänden umfassen: eine wahre Goldgrube für Fans und ein (starker) Einstieg für Neulinge.

Nach Vol.1 (1963-1972), das sich auf seine Anfänge bei The Squires, Buffalo Springfield und seine ersten vier Soloalben konzentriert, und Vol. 2, das die wenigen, aber hochproduktiven Jahre 1972-1976 zusammenfasst, aus denen seine Meisterwerke On the Beach, Tonight’s the Night und Zuma stammen, widmet sich Vol. 3 dem folgenden eklektischen Jahrzehnt von 1976 bis 1987, in dem er zum Label Geffen wechselte. Er überraschte sein Publikum – oder sein Label – mit jedem neuen Album und wechselte nach Belieben zwischen Rock’n’Roll, Country, klassischem Folk und New Wave. In einer oft atemberaubenden Klangqualität – kein Wunder bei den hohen Ansprüchen des Kanadiers – umfasst dieser umfangreiche Band 121 bisher unveröffentlichte Songversionen (Live-, Studio-, Mix-, Original- oder Alternativversionen) und 15 völlig neue Songs, also ganze 198 Tracks auf 17 Alben.

Die Box nimmt uns mit: auf die Straße, auf die Bühne, in die Studios von Kalifornien und Texas, ins Auto und sogar zu Linda Ronstadt (die in Heart of Gold singt). Dazu beteiligt sich Neil selbst am Storytelling und erklärt, wann, warum, wo und mit wem wir uns gerade befinden. Denjenigen, die Kurzgeschichten bevorzugen, sei erklärt, dass zum gleichen Zeitpunkt TAKES erscheint, eine Doppel-LP mit 16 Titeln aus dem Box-Set, die ab dem (DATUM – TBA) bei Qobuz vorbestellt werden kann.

Von März 1976 bis August 1977: Von Across the Water I & II bis Windward Passage

Zurück ins Jahr 1976: Neil Young hatte seinen Gitarristen Danny Whitten und den Roadie Bruce Berry verloren. Er hatte sich von Carrie Snodgress getrennt, mit der er gerade seinen ersten Sohn Zeke bekommen hatte, der unter Zerebralparese litt. Stephen Stills hatte er während seiner Tournee zur Unterstützung ihrer gemeinsamen Platte Long May You Run mit einem kurzen Telegramm abserviert, weil er mit Crazy Horse nach Japan fliegen wollte. Wir begegnen ihm genau dort wieder, wo wir ihn am Ende von Vol. 2 verlassen hatten, und zwar am 11. März im Budokan in Tokio mit seinen größten Hits auf Across the Water I, von dem eine Videoaufzeichnung als Hardcopy erhältlich ist. Einige Tage später überqueren wir wieder den Ozean, um ihn in London und vor allem in Glasgow singen zu hören, wo er (dort sicher zum ersten Mal) eine gitarrenlastige Version von Homegrown spielt. Dann geht es mit Hitchhikin’ Judy zurück in die USA. Dort finden wir Titel aus den Alben Hitchhiker, das bei einer Blitzsession auf der Indigo Ranch in Malibu entstanden war, Songs for Judy, einer Sammlung von akustischen Solo-Sets, mit denen Young auf Tournee mit Crazy Horse die Show eröffnete, und The Last Waltz, dem Abschiedskonzert der kanadischen Combo The Band, bei dem er zusammen mit Joni Mitchell Helpless sang.

Es folgt das Jahr 1977 mit dem Glanzstück Snapshot in Time, das Neil Young, die Gitarre in der Hand, mit seinem treuen Manager David Briggs und Nicolette Larson bei Linda Ronstadt in Malibu am Tisch zeigt, ins Gespräch über die Kompositionen von American Stars ‘n Bars vertieft. Das Album enthält auch Barefoot Floors, ein Wiegenlied, dessen Aufnahme auf Kassette er der gut gelaunten Linda im Auto vorspielte. Danach geht es weiter in die heißen Bars von Santa Cruz, wo Neil bei den einheimischen The Ducks (Johnny Craviotto am Schlagzeug, Bob Mosley am Bass und Jeff Blackburn an der Gitarre) zur Entspannung das sehr rock’n’roll-ige Windward Passage mit starken Chuck-Berry-Einflüssen zum Besten gab.

Von Mai 1977 bis Juli 1981: Oceanside/CountrysideCoastline

1978 kehrte Neil zum Harvest-Folk zurück, mit dem ausgezeichneten Comes a Time, auf dem er Four Strong Winds von Ian und Sylvia coverte, das ihn an seine Kindheit in Ontario erinnerte, an der Seite von Nicolette Larson und mit seinem Helden J.J. Cale an der Gitarre. Aber davor gab es Oceanside Countryside, ein sehr persönliches Soloalbum, das Neil Young damals Mo Ostin und Lenny Waronker von Reprise vorgestellt hatte, die ihn aufforderten, mehr Instrumentation einzubauen. “Ich vertraute ihnen und tue es heute noch”, notiert er in seinen Archives. “Ihr Rat war jahrelang sehr wertvoll. Mit diesem Album habe ich mich sehr wohl gefühlt.” So entdecken wir einen Teil der im Crazy Mama Studio in Nashville aufgenommenen Version, in der Neil Young von Rufus Thibodeaux an der Fidel, Joe Osborn am Bass, Karl Himmel am Schlagzeug und Ben Keith an der Steel Guitar und dem Dobro begleitet wird. Anschließend bleiben wir mit dem bezaubernden Union Hall, wo der Kanadier mit Linda Ronstadt und The Gone With The Wind Orchestra vor einem Konzert probt, in der Wiege des Country.

Auch wenn Ende der 70er Jahre Punks die Hippie-Utopien verspotteten, wurde Neil Young nicht als “gestrig” abgestempelt. Er trug Sex-Pistols-T-Shirts, schrieb Johnny Rotten eine Widmung am Ende von Hey Hey My My (Into the Black) aus dem Hardrock-Album Rust Never Sleeps (1979), das zu einem wichtigen Einfluss für den Grunge wurde, und bandelte für seinen Film Human Highway (1982) mit den Fantasten von Devo an. Mit ihnen finden wir ihn übrigens im Mai 1987 in San Francisco auf Boarding House II wieder, das wegen der schaurigen Version von Hey Hey My My (Into the Black) mit leicht verändertem Text (“Johnny Rotten” wurde durch “Johnny Spud” ersetzt) nicht mit Gold aufzuwiegen ist. Sedan Delivery, das aus Rust Never Sleeps und Live Rust (1979) stammt, enthält das kurze Bright Sunny Day, in dem Neil Young die Verzerrungen etwas zurücknimmt.

Es geht weiter mit Coastline, einer Mischung aus dem Halb-Folk-Halb-Country Hawks & Doves (1980) und dem repetitiven Rock von Re-Ac-Tor (1981). Das Album enthält zwei unveröffentlichte Stücke, die gegensätzlicher nicht sein könnten: das anachronistische Winter Winds, in dem sich die Broken Arrow Ranch mit Crazy Horse, Neil Young am Klavier und Hillary O’Brien am Gesang in einen Irischen Pub verwandelt, und die kurze Hymne Get Up, in der Neil mit Synclavier und Wurlitzer jongliert. Die synthetischen 80er Jahre hatten begonnen und Neils Alltag war sehr kompliziert geworden. Er ging weniger auf Tournee, hielt sich nicht mehr so lange im Studio auf und begleitete zusammen mit seiner Frau Pegi seinen zweiten Sohn Ben, der ebenfalls an Zerebralparese leidet, zu langen Behandlungen von mehr als 15 Stunden täglich. Eine intensive Zeit, die sich auf Re-Ac-Tor und Trans (1982) auswirkte.

Von Januar 1982 bis 1987: Trans EPSummer Songs

Nach zwei kommerziell wenig erfolgreichen Alben verließ Neil Young 1982 sein langjähriges Label Reprise, um einen Vertrag bei David Geffen zu unterzeichnen, mit der Garantie, seine künstlerische Freiheit zu behalten. Auf seiner Lieblingsinsel Hawaii nahm er im Mai Island in the Sun auf, ein sanftes Album voller schmachtender Gitarren, das Lust macht, ins weite Meer einzutauchen. Doch David Geffen besuchte ihn während der Aufnahmen bei den Commercial Recorders in Honolulu und bat ihn, die Songs sofort zu überarbeiten. Neil tat das Gegenteil und machte sich daran, Trans fertigzustellen, wo er, inspiriert von seinem Sohn, der nur über Maschinen kommunizieren konnte, Vocoder und Synthesizer einsetzte. Trans & Johnny’s Island vereint diese beiden gegensätzlichen Alben und gibt fünf unveröffentlichte Stücke heraus: die Surfsongs Big Pearl, Raining in Paradise und Island in the Sun, den Synthpop Johnny und das melancholische Love Hotel, das in Birmingham aufgenommen wurde und mit Drumcomputern arbeitet.

Neil Young machte die kommerziellen Ambitionen seines Labels durch Everybody’s Rockin (1983), ein reines 50er-Jahre-Rockabilly-Album, und das Country-Album Old Ways (1985), für das er von Geffen verklagt wurde, zunichte. Es folgte Landing on Water (1986), in dem Schlagzeug und Synthesizer dominierten, das zeitgemäßer war und von den Kritikern besser aufgenommen wurde. Das Album Evolution kombiniert alternative Versionen von Songs aus diesen drei Alben – darunter das bewegende My Boy, auf dem Neil allein mit Banjo und Mundharmonika zu hören ist – und weist, wie der Name schon sagt, auf seinen unglaublichen stilistischen Wandel. Ein Stimmungswechsel erfolgt mit dem überdrehten Live-Auftritt Touch the Night, den Neil Young am 11. Februar 1984 mit Crazy Horse im Catalyst Club in Santa Cruz gab. Wir entdecken hier So Tired, Rock und Your Love. Danach geht es weiter mit den International Harvesters und Grey Riders, das unveröffentlichtes Material aus A Treasure enthält, einem 100 % Country-Live-Album von ihrer Tournee im Jahr 1984. Die Mitte der 80er Jahre war zweifellos seine unproduktivste Zeit, und es fällt auf, dass sich der bislang eher redselige Neil Young seltener zu Wort meldet. Der Mammutband endet mit zwei Entdeckungen: Road of Plenty, ein neuer Titel auf dem gleichnamigen Album, der an Hey Hey My My erinnert, und das berühmte Album Summer Songs, das die ersten Entwürfe für American Dream (1988) mit CSNY und Freedom (1989) wiedergibt.

Auch wenn die 80er Jahre für Neil Young nicht gerade rosig waren, ist diese Odyssee mit tausenden Stunden Hörgenuss und einer Fülle von Dokumenten – ein 178-seitiger Bildband begleitet das physische Box-Set – aufgrund der Intimität mit dem Künstler sehr spannend. Sie ermöglicht einen tiefen Einblick in die stilistischen Ausdrucksformen des Künstlers in einer bewegten Zeit, als der Hippie-Traum zerbrach und dem No-Future-Punk Platz machte, und als die digitale Technologie aufkam. Ein “Rabbithole”, in das wir ohne zu zögern eintauchen, um die künstlerische Intimität eines der größten Songwriter Nordamerikas zu entdecken. Ein echtes Must-have!

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Neil Young Archives Vol.III - Sortie au 6/09/2024

Disc 1: Across The Water I (1976) Neil Young & Crazy Horse

Disc 2: Across The Water II (1976): Neil Young & Crazy Horse

Disc 3: Hitchhikin’ Judy (1976-1977): Neil Young

Disc 4: Snapshot In Time (1977): Neil Young with Nicolette Larson & Linda Ronstadt

Disc 5: Windward Passage (1977) The Ducks

Disc 6: Oceanside Countryside (1977): Neil Young

Disc 7: Neil Young & Nicolette Larson Union Hall (1977):

Disc 8: Boarding House I (1978): Neil Young

Disc 9: Devo & Boarding House II (1978): Neil Young and Devo

Disc 10: Sedan Delivery (1978): Neil Young with Crazy Horse

Disc 11: Coastline (1980-1981): Neil Young

Disc 12: Trans (1981) & Johnny’s Island (1982): Neil Young

Disc 13: Evolution (1983-1984): Neil Young

Disc 14: Grey Riders (1984-1986): Neil Young with The International Harvesters

Disc 15: Touch The Night (1984): Neil Young with Crazy Horse

Disc 16: Road Of Plenty (1984-1986): Neil Young

Disc 17: Summer Songs (1987): Neil Young

Vollständiges Track Listing & weitere Informationen.