Testing Ground

HiFi-Overkill in Tokio Akihabara

Japan feiert HiFi anders als Deutschland: schriller, bunter, extremer. Im Tokioter Viertel Akihabara – bekannt als Elektronikmeile – tauchten wir ein in das schier aus allen Nähten platzende Angebot.

“Was wollt ihr hören?”, ruft uns Masaru Fukuda fröhlich zu und breitet die Arme aus, als wolle er sein üppiges Angebot umfangen. Wir befinden uns im großen Vorführraum des “Multimedia Akiba Store” mitten in Tokios hifidelem Vergnügungsviertel Akihabara. Die Beschreibung übertreibt nicht, denn dort locken allerorten Geschäfte mit blinkender Reklame und poppigen Jingles die Kundschaft. Ob man nur ein paar elektronische Bauteile sucht oder eine komplette HighEnd-Anlage vom Feinsten, spielt keine Rolle. In Akihabara gibt’s einfach alles, und zwar massenweise und in jeder Coleur.

Darauf ist unser “Audio Advisor” sichtlich stolz und verweist auf eine ganze Phalanx von Verstärkern in der Wand hinter sich. Seitlich sind unzählige Lautsprecher – kompakte wie Standmodelle – aufgebaut. “Ihr könnt jeden Amp mit jeder Box verschalten”, berichtet Fukuda, der wie der Mittelpunkt im Hurrikan erscheint, denn um ihn herum herrscht rege Geschäftigkeit, blinkt und schallt es aus jeder Ecke. Verlässt man die HiFi-Etage des Elektrokaufhauses, ist’s kaum besser: Ob Foto, Uhren, Computer oder Haushaltswaren – stets wird mit allen verfügbaren optischen wie akustischen Mitteln angepriesen, was das Zeug hält. “Multimedia” ist hier kein leeres Versprechen!

Nippons pralles HiFi-Leben

Wer nun meint, in diesem rummeligen Umfeld könne es nur um Komponenten und Zubehör der unteren Klassen gehen, liegt falsch. Denn das ist neben der schieren Flut an Produkten das eigentlich Faszinierende am “Akiba Store”: Dessen Sortiment umfasst hochwertige und extravagante Ware, die man in Deutschland kaum mal beim Spezialisten findet. So schlendern wir erstaunt an Vitrinen vorbei, in denen zum Teil seltene Röhren hinter Glas liegen wie hierzulande Wurstaufschnitt

– frei nach dem Motto: “Welche Sorte darf’s denn sein?” Ein anderer Glasschrank beherbergt zwei Dutzend Phono-Verstärker. Will man einen hören, holt ihn Fukuda oder einer seiner Kollegen heraus und schließt ihn an. Natürlich kann man auch einen Termin machen, damit alles schön warmgespielt ist.

Tonabnehmer gibt’s ebenfalls en gros. Sie sind mit kleinen Schildchen versehen, die neben den Preisen auch technische Raffinessen auflisten, sodass sich der Interessent im Vorfeld orientieren kann. Von Ortofons anspruchsvoller “Cadenza MC”-Serie etwa sind dabei nicht ein oder zwei Modelle vorhanden, sondern – für Fukuda Ehrensache – die gesamte Range inklusive des Mono-Typs, weil japanische Vinyl-Fans auf alte Scheiben stehen. Ach was, diese vergöttern.

Doch nicht an jedem Ort wird man von Angeboten und Reizen bedrängt. Der rege Berater führt uns in ein ruhiges Studio, das er als seine “Zuflucht” bezeichnet. Dort outet er sich als Luxman-Fan und insbesondere der Röhrengeräte des Edelherstellers, von denen er einige in einem Rack versammelt hat und an Focal-Lautsprechern vorführt. Wir genießen einen Augenblick mit Ella Fitzgerald und Louis Armstrong “A Foggy Day In London Town”, bis es wieder zurückgeht ins muntere Treiben der Tokioter HiFi-Etage.

Dort sucht sich – kein Witz – ein Pärchen mittleren Alters gerade neue Boxenkabel aus wie andere Leute wohl ein Kaffee­service: Drei, vier gefütterte Kisten mit edlen Leitern um sich herum folgt es aufmerksam den Erläuterungen eines Fachmanns, befühlt zwecks Qualitätsprobe behutsam den Umfang oder die Kontakte. Andere Länder, andere – ach, Sie wissen schon!

Masse und Klasse

Wir schauen uns weiter um und steuern Dynamic Audio 5555 an, die erste Adresse in Akihabara für highendig orientierte “Big Spenders”. Zwar gibt es im Erdgeschoss sowie im ersten Stock des schmalen, hohen Gebäudes, in denen wir aufgrund der aufgestellten Preisschilder nicht fotografieren dürfen, viel Massenware, doch Dynamic Audio hat sieben Etagen – und je höher man hinaufsteigt, desto anspruchsvoller werden die Auswahl und die Präsentationen. Es herrscht Stille, und an einem gewöhnlichen Wochentag ist nachmittags ohnehin nicht viel los.

Auch bei Dynamic Audio erschlägt einen die Auswahl, wobei man hier zugleich unwillkürlich beginnt, die Werte der klangvollen Ware im Hinterkopf zu addieren. Da kommt was zusammen, denn hier stehen Exponate gefühlt sämtlicher international renommierten Anbieter, darunter viele deutscher Provinienz, die in Asien einen erstklassigen Ruf genießen. Große Mono-Amps von Accustic Arts befeuern Wilson Audios Sasha DAW, Transrotor-Plattenspieler vertreten hiesige Handwerkskunst in Japan.

Hier finden sich ebenfalls liebevoll zusammengestellte Guckkästen zu unterschiedlichen Themen. Einer versammelt zum Beispiel vielfältiges Phono-Zubehör. Was es nicht alles gibt... In einem Regal warten hingegen eingeschaltete Vollverstärker auf ihren Einsatz. Ein Kunde hört sich just eine Paradigm-Box mit McIntosh-Amp an. Als wir 20 Minuten später erneut eintreten, läuft die größere Schwester, von eifrigen Händen auf die vormarkierte Position gerückt, an Accuphase. Man merkt schnell: Bei Dynamic Audio wird HiFi gelebt. Alle sind mit Enthusiasmus dabei, was sich auch während unserer leider kurzen Gespräche – Japaner reden weder gut noch gerne englisch – mit dem Personal erweist.

Klang-Overkill auf “Wolke 7″

Und dann geschieht, worauf ich kaum zu hoffen wagte: Im obersten Stockwerk, ergo Dynamic Audios HighEnd-Himmel, wo Esoteric-Komponenten etwa über Focals riesige Grande Utopia EM EVO oder Daniel Hertz’ sonst kaum anzutreffende M1 Speaker den Ton angeben, sitze ich erstmalig vor dem Y’ Acoustic System Ta.Qu.To-Zero, einem aus dem vollen Aluminium gefertigten 500-Kilo-Lautsprecher mit facettierten Formen und horrendem Preis.

Zum Glück bin ich für den exklusiven Moment gerüstet, lege Jacinthas Album “Here’s To Ben” als von Memory-Tech – ja, die Japaner! – aus Glas gefertigte “Crystal”-CD in die Lade eines Esoteric-Laufwerks und drücke Play. Was nun passiert, zähle ich zu meinen audiophilen Sternstunden, denn obgleich angesichts der anderen Boxen von freier Aufstellung keine Rede sein kann, klingt “Georgia On My Mind” absolut phänomenal: vollkommen gelöst, atmend und natürlich, greifbar plastisch ausgeformt und mit so definiertem Tiefenrelief, dass man meint, um die Musiker herumhören zu können. Alles ist perfekt! Dieser Klang-Overkill haut mich weg. Von wegen in Akihabara gäb’s nur Masse. Das war die Superklasse!

*Beitrag aus dem Stereo Magazin.

Qobuz ist jetzt übrigens auch in Japan verfügbar! Tauchen Sie ein in die japanische Musikkultur und entdecken Sie unsere Artikel und Playlists über Künstler wie Joe Hisaishi, Nujabes und Ryuichi Sakamoto oder musikalische Genres wie City Pop und Studio Ghibli.