Es gibt diese Künstler und Künstlerinnen, die sich jeglicher Kategorisierung verweigern. Aufgrund ihres musikalischen Stils aber auch aufgrund ihrer alles andere als kommerziellen und industriegesteuerten Rolle. Anders Trentemøller ist solch ein Künstler.
Aufgewachsen in der dänischen Hafenstadt Vordingborg, fand der Musiker, Komponist und Produzent seine musikalische Stimme zwischen den Weiten des Meeres und der Natur der Region Seeland. Anfang der 1990 Jahre zog er nach Kopenhagen, um seine erste Band zu gründen und veröffentlichte einige Zeit später sein erstes Soloprojekt, Trentemøller EP, das damals noch von groovigen Dance-Rhythmen geprägt war. Doch bereits kurze Zeit später, auf seinem Debütalbum The Last Resort (2006), fließen Elemente des Shoegaze, New Wave, elektronischer Musik und Synth mit ein, die seiner Musik in einen einzigartigen, komplexen und transzendenten Sound verleihen, der außerhalb gewöhnlicher Genregrenzen liegen.
Mit einer außergewöhnlichen technischen Feinheit, Offenheit zu musikalischen Einflüssen und Experimenten sowie Kollaborationen mit ikonischen Bands wie Depeche Mode — 2013 waren sie Vorgruppe ihrer “Delta Machine” Stadium-Tour — schuf sich Trentemøller seinen festen Platz in der nordischen und internationalen Musikszene. Seine letzten Projekte wie Fixion (2016), Obverse (2019) oder Memoria (2022) öffnen sich nicht nur neuen instrumentalen Gefilden, sondern zeigen auch sein Talent als Produzent und Songwriter, der trotz der riesigen Erfolge seine bescheidene, introvierte und vor allem freundliche Art nicht verloren hat. Zum Anlass des neues Albums Dreamweaver durften wir den Künstler in einem Online-Interview kennenlernen und mit ihm über seine musikalischen Anfänge und aktuellen Projekte sprechen:
Wie würdest du deine Musik jemandem beschreiben, der dich nicht kennt?
Das ist immer sehr schwer und ich bin kein großer Fan davon, in Schubladen zu denken... Aber ich würde vielleicht Dreampop sagen — ich denke, das kommt am besten hin. Es gibt definitiv Elemente aus Shoegaze und Indie-Rock und ein bisschen elektronische Musik, aber auch nicht mehr so viel. Ich denke, Dreampop trifft es am besten.
Wie bist du zum ersten Mal mit Musik und insbesondere mit Synthesizern in Berührung gekommen?
Ich kann mich daran erinnern, dass ich mein erstes Schlagzeug aus Töpfen und Pfannen gebaut habe, als ich drei Jahre alt war. Ich habe zu allem gespielt, was im Radio lief — das war in den frühen 70er Jahren — also die Rolling Stones, Beatles und solche Sachen. Als Teenager hörte ich dann zum ersten Mal einen Song, der mich total umgehauen hat. Ich hatte sogar fast Angst, weil er so ganz anders klang als die Musik, die ich normalerweise hörte, nämlich Mainstream-Pop. Es war Venus in Furs von The Velvet Underground und ich dachte nur: “Wow, Musik kann so klingen?!” Dieser Drohnen-Sound, die Geigen und die ganze Atmosphäre des Songs — das war vielleicht der Anstoß für mich, selbst Musik zu machen.
Als ich 20 Jahre alt war, gründete ich dann meine erste Band. Meine Eltern kauften mir schon einige Zeit davor ein Klavier und ich wurde von The Cure, The Smith, eigentlich der gesamten britischen Shoegaze-Szene, beeinflusst. In der Schule war ich so etwas wie ein Außenseiter und hatte deshalb nicht wirklich viele Freunde. Doch es gab andere Kinder wie mich, die auch Musik machen wollten — und so hatten wir plötzlich etwas gemeinsam! Wir waren nicht am Fußball spielen oder Motorrädern und solche Sachen interessiert, das war nicht wirklich unser Ding. Ich glaube, wir waren damals einfach ein bisschen introvertierter.
Gab es einen bestimmten Moment, in dem du wusstest, dass du Musiker werden wolltest?
Es gab tatsächlich diesen Moment, als ich circa zehn Jahre alt war. Wir hatten eine Schulaufführung, und ich war so schüchtern, dass ich auf keinen Fall auf der Bühne stehen wollte. Ich habe alles Mögliche versucht, um keine Rolle zu spielen, und so habe ich meinen Lehrer einfach gefragt, ob ich vielleicht neue Musik für die Schulaufführung schreiben könnte. Mein Lehrer wirkte überrascht, sagte dann aber, dass wir es probieren können. Zuerst hat er mich ein bisschen belächelt, aber am Ende habe ich die komplette Musik neu geschrieben und den anderen Schülern und Schülerinnen beigebracht. Für mich fühlte es sich tatsächlich so an, als ob ich schummeln würde, weil ich nicht auf der Bühne stehen musste. Ich konnte einfach am Klavier neben der Bühne sitzen und spielen... Aber als das Stück zu Ende war, bat mich der Lehrer auf die Bühne, und die anderen Kinder schenkten mir Blumen! Da habe ich gemerkt, dass sie es eigentlich ganz cool fanden, was ich getan hatte, und da ist mir klar geworden, dass ich vielleicht wirklich gut in etwas bin.
Ich habe es immer geliebt, Musik zu machen, und seitdem kann ich mich daran erinnern, dass ich damit meine Gefühle ausdrücken und die Welt auf eine gewisse Weise bewältigen konnte. Die Schulaufführung damals hat mir wirklich eine ganz neue Welt eröffnet, und von da an bin ich einfach diesem Weg gefolgt.
Aber Musiker zu sein bedeutet auch, auf der Bühne zu stehen, oder?
Das Lustige daran ist, dass ich es wirklich liebe, auf der Bühne zu stehen und meine Musik zu spielen. Wenn ich eine Rede auf einer Familienfeier halten müsste, würde ich sterben (lacht). Ich finde es wirklich furchtbar, vor vielen Leuten zu sprechen, aber auf Festivals wie auf dem Roskilde in Dänemark kann ich problemlos vor 90.000 Leuten stehen. Ich fühle mich so sicher hinter meiner Musik und ich genieße es, sie mit dem Publikum zu teilen.
Andererseits bin ich auch gerne monatelang in meinem Studio isoliert, um Musik zu schreiben und zu produzieren. Ich mag es, allein zu sein und ich bin immer noch ziemlich schüchtern, wenn es darum geht, meine Arbeit mit anderen zu teilen, bevor sie nicht zu 90% vollendet ist. Es ist immer noch eine sehr empfindliche Sache für mich, also arbeite ich gerne einfach daran, ohne dass sich jemand einmischt. Erst nach Monaten im Studio, fast ohne jemanden gesehen zu haben, ist es wirklich schön, mit einer Band zusammenzukommen und unsere Vision für die Musik zu teilen. Sie geben mir dann auch ihr Feedback und wir formen die Musik am Ende gemeinsam. Wenn wir live spielen, bin ich nicht mit einer Backing-Band unterwegs, sondern wir sind eine große Gruppe und ich bin nur das fünfte Mitglied dieser Band. Das ist für mich sehr wichtig.
Was ist der Grundgedanke von Dreamweaver? Das Album hat offensichtlich einen sehr spirituellen Namen.
Für mich bedeutet Musik schreiben, dass ich versuche, mich mit meinem Unterbewusstsein zu verbinden, und “Dreamweaver” (Traumweber) ist für mich ein anderes Wort dafür. Wenn ich Musik mache, versuche ich nicht zu viel nachzudenken und zu analysieren, sondern einfach alles fließen zu lassen. Es ist ein sehr traumähnlicher Zustand, in dem man sich befindet, wenn man das Glück hat, kreativ zu sein, denn die meiste Zeit sitze ich auch nur vor meinem Klavier und probiere verschiedene Melodien und Akkordfolgen aus. Und dann gibt es vielleicht diese 10%, die einfach magisch sind. Plötzlich tauchen diese Melodien mit Ideen und Stimmungen auf — wie in einem Traum. Manchmal kann ich stundenlang so weitermachen, ohne etwas zu essen oder zu trinken.
Ich dachte mir, dass Komponieren in diesem Geisteszustand eigentlich wie Traumweben ist und hatte das Gefühl, dass das ein schönes Thema für das ganze Album sein könnte. Im Alltag gibt es eine Menge praktischer Dinge zu organisieren. Und wenn ich dann die Zeit finde, liebe ich es, in meine Traumwelt einzutauchen und mit Gefühlen zu arbeiten, die ich teilweise nicht selbst erlebt habe oder im Moment spüre - wie sehr dunkle Gedanken, Verlust oder Melancholie - aber sie sind trotzdem ein Teil von mir und meiner Geschichte. Dieser Output durch meine Musik ist das Beste für mich. Wenn ich das nicht hätte, würde ich wahrscheinlich verrückt werden oder so (lacht). Es klingt ein bisschen klischeehaft, aber es ist wie eine Art Therapie.
Du hast einmal gesagt, dass es sehr inspirierend ist, mit neuen Sounds zu spielen, bevor man ein neues Album beginnt. War das bei dieser Platte auch so?
Ja, das mache ich immer! Ich nehme einfach einen Synthesizer oder eine Gitarre, ein Schlagzeug, die Vocals und versuche, darauf herumzuspielen und manchmal passieren dabei glückliche Zufälle. Die Knöpfe sind zum Beispiel in der falschen Position, und dann klingt es manchmal wirklich cool und es kommt etwas dabei heraus, auf das ich nie selbst gekommen wäre. Die Tatsache, dass ich vor all diesen Instrumenten sitze und Sachen probiere, macht einen großen Unterschied. Mein Studio ist nur fünf Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt, wo ich eine Menge Instrumente habe. Ich liebe vor allem auch Gitarren-Pedals. Es ist ein kleines Pedal mit vielleicht 3 oder 5 Knöpfen und man kann sehr leicht einige verrückte Sounds daraus bekommen. Inzwischen habe ich eine richtige Sammlung davon und jetzt sind es wirklich viele... Ich glaube, ich habe über 200 Pedals im Studio! (lacht) Generell ist das Wichtigste für mich, dass alles einfach spielerisch ist. Ich hasse es, Bedienungsanleitungen zu lesen und ich arbeite überhaupt nicht auf eine technische Art und Weise. Ich mag es einfach, an den Knöpfen zu drehen und zu sehen, was passiert.
Wenn ich Musik mache, versuche ich nicht zu viel nachzudenken und zu analysieren, sondern einfach alles fließen zu lassen. Es ist ein sehr traumähnlicher Zustand, in dem man sich befindet. Manchmal kann ich stundenlang so weitermachen, ohne etwas zu essen oder zu trinken.
Und wie verläuft dann der Album- und Schreibprozess bei dir?
Generell würde ich sagen, dass ich 80% der Songs am Klavier schreibe, nicht vor dem Computer oder so. Ich konzentriere mich wirklich gerne auf das Songwriting, denn das ist für mich definitiv das Wichtigste. Später kann ich einen Song dann in verschiedene Gewänder kleiden — er kann folkiger, mehr noisy, elektronischer, jazziger oder was auch immer sein. Es sollte ein Song sein, den man aber im Grunde auch auf einer akustischen Gitarre am Lagerfeuer spielen kann. Oft nehme ich meine Ideen einfach auf meinem iPhone auf oder manchmal sogar gar nicht. Wenn ich am nächsten Tag ins Studio komme und mich noch an den Song erinnern kann, ist das oft ein guter Anfang. Im Studio versuche ich herauszufinden, wie der Bass klingen würde oder die Melodie und die Gesangsparts und ich versuche, alle Instrumente und Sounds auszuprobieren. Das ist manchmal einfach und manchmal fällt es mir sehr schwer, genau den Klang zu erhalten, den ich mir vorstelle.
Wenn der Song und die Produktion fertig sind, verwende ich viel Zeit für das Abmischen der kleinen Details. Ich liebe es, wenn man einen Song zum fünften oder sechsten Mal hört und man plötzlich neue Ebenen in der Musik entdecken kann, neue kleine Details. Und gleichzeitig ist mir auch bewusst, dass man das Stück nicht “überproduzieren” sollte. Man hat immer endlose Möglichkeiten, besonders mit der Software. Ich versuche mich dann daran zu erinnern, was die erste ursprüngliche Idee gewesen ist. Und sehr oft komme ich zu dem Punkt zurück, an dem ich angefangen habe. Ich musste viele verschiedene Dinge durchgehen und Schichten abtragen, um manchmal wieder am Anfang anzukommen.
Neben der Musik scheint auch das gesamte Artwork eine wichtige Rolle zu spielen, oder?
Ja, für mich fließt alles zusammen. Das Cover-Artwork, die Musikvideos und das Bühnenbild, die Live-Shows... Es geht nicht nur um die Musik, sondern auch darum, alle Arten von Kunst und Ideen für das ganze Projekt zu entwickeln. Die ganze visuelle Seite ist auch etwas, das mir sehr viel Spaß macht, vor allem bei Konzerten, und ich bin wirklich an allen Arten des kreativen Prozesses beteiligt.
Von deinem Debüt The Last Resort von 2006 bis zu Dreamweaver — siehst du selbst eine gewisse Entwicklung in der Geschichte deiner Alben?
Manchmal fragen mich die Leute, ob dieses Album eine Reaktion auf ein anderes Album ist, ob es das Gegenteil oder die Fortsetzung ist... Ich denke, das müssen die Hörer und Hörerinnen selbst entscheiden. Ich denke nicht wirklich über meine vorherigen Alben nach, wenn ich etwas Neues anfange, ich schaue nach vorne auf die nächsten Projekte. Ich möchte einfach etwas ganz Frisches und Neues machen, aber natürlich hat das Schreiben und Produzieren von Musik immer meinen persönlichen Sound und Stil, nichts wird komplett neu erfunden. Ich versuche einfach, die Musik zu machen, die sich für mich im Moment richtig anfühlt.
Man kann trotzdem im Laufe der Zeit in deiner Musik eine gewisse musikalische Entwicklung erkennen. Gab es dabei bestimmte musikalische Einflüsse?
Im Grunde geht es wirklich darum, mit vielen verschiedenen Sachen zu experimentieren. Bei meinem ersten Album gab es durchaus elektronische Elemente und ich habe mich auch von Künstlern wie Mazzy Star oder Bowie inspirieren lassen, genauso wie E-Bow-Gitarren und auch richtige Drums. Viele Leute sagen mir immer, dass das erste Album rein elektronisch war, und ich antworte dann darauf: “Nein, da waren eigentlich ziemlich viele Gitarren, Bass und andere Instrumente dabei!” (lacht) Ich denke, es ist einfach eine natürliche Entwicklung und so wurde die Musik auf den nächsten Alben immer weniger elektronisch. Ich habe mich nie als ein Künstler elektronischer Musik gesehen. Also ausschließlich. Jetzt ist es wahrscheinlich ein ziemlich kleiner Prozentsatz von dem, was ich mache, aber ich lasse natürlich gerne elektronische Musik in meine Songs einfließen, wie auch in Dreamweavers. Das neue Album beginnt mit einer Art elektronischem Sound und geht dann zu Gitarre und Schlagzeug über, mit einer Entwicklung zu etwas Ambient und wieder zurück zu Elektronik. Ich mag es, wenn ein Song an einem bestimmten Punkt beginnt und dann auf eine Reise geht und was die Energie und den Sound betrifft, auf und ab gehen kann. Es ist wie ein Traum, der nicht immer einem geraden Weg folgt, sondern verschiedene Ebenen hat. Genau das möchte ich mit meiner Musik erreichen.