“Ich hatte vor diesem Projekt weder Erfahrung mit Renaissance und Barock”, gesteht Marina Viotti gleich zu Beginn ein. Alles begann mit einem Aufführungsprojekt an der Luzerner Oper, das sich um Melancholie und die fünf Phasen der Trauer drehte. John Dowland (1563-1626) schien ein geeigneter Komponist zu sein, da seine Melodien für Laute und Gesang eine schmerzhafte und intime Welt der Trauer schaffen. Zusammen mit Vincent Flückiger und Fred Chappuis nimmt sich die schweizerische Mezzosopranistin dieses Repertoires an, verändert die Aussage und stellt die Ästhetik auf den Kopf. Das Trio arrangiert die Form nach seinen Vorstellungen um, fügt hier elektrische Gitarrenlinien hinzu, dort ein paar Akkorde auf dem Moog-Synthesizer... Dowland schien noch nie so modern gewesen zu sein! Dann entstand die Idee, sein Werk mit anderen Künstlern und Künstlerinnen unserer Zeit gegenüberzustellen: Lana Del Rey, Johnny Cash, Björk... Wir schreiben das Jahr 2017: Das Projekt Mélankhôlia ist geboren.
Da kommt das Leben und ein persönlicher Schicksalsschlag dazwischen: Im Frühjahr 2019 wird Marina Viotti mit dem bösartigen Tumor Hodgkin-Lymphom, einer Form des Lymphknotenkrebs diagnostiziert. Angesichts des großen Wettbewerbs in der Branche und vor Angst, dass ihre Verträge gekündigt werden, beschließt die Sängerin, den Krebs, der an ihr nagt, zu verheimlichen, und begibt sich stillschweigend auf einen schwierigen medizinischen Weg. Von Chemo- bis Strahlentherapie wechselt sie zwischen Phasen der Hoffnung und der Entmutigung. Der Bezug zu Dowland wird umso stärker: Es ist ihre eigene Geschichte, die sie in diesem Album, das sich noch im Entstehen befindet, erzählen muss. Von Dowland über Metallica und Neil Young bis hin zu U2: In Darkness Through the Light beschäftigt sich Viotti mit dem Tod, der vergehenden Zeit, Illusionen und Reue, und das alles in wunderschönen, zeitübergreifenden Arrangements. Marina Viotti, die heute vollständig geheilt ist, spricht ohne Pathos oder falsche Scham vor unserer Kamera. Ihr Zeugnis lädt jeden von uns ein, tief in unseren Schmerzen zu graben und alles herauszuholen, was das Licht über die Dunkelheit triumphieren lassen kann.
*Deutsche Untertitel können im Video eingestellt werden.