Als kompromissloses künstlerisches Pseudonym hat Father John Misty Josh Tillmans brilliantes und vielschichtiges Popwerk erst möglich gemacht. Der Sohn strenger Evangelisten, aufgewachsen in Washington D.C. mit ausschließlich religiöser Musik, stand acht Folk-Platten lang im Schatten seines echten Namens (vielleicht mit der Ausnahme von Singing Ax, das von Steve Albini produziert wurde). Von 2008 bis 2012 saß er bei den Fleet Foxes in Seattle am Schlagzeug. Schließlich fand er seinen Weg ins Rampenlicht, als er sich das Gewand von Father John Misty überzog. Die Idee zu dieser satirischen Figur, die ihm alle Exzesse erlaubt, kam Tillman passenderweise, nachdem er psychedelische Pilze eingenommen hatte und ihm die Kunstfigur als Epiphanie erschien.
Mit der Kreation Father John Mistys veränderte sich Tillman schlagartig und blühte in seiner Kunst voll auf: Er schloss sich zunächst dem Sub-Pop (Nirvana, Beach House, L7) an und wechselte von seinem leidvollen Gitarrengesang zu einem charismatischen Guru-Look und dem barocken, warmen Pop-Sound seiner alten Band. Für sein eigenes Debütalbum Fear Fun (2012) tat er sich mit Jonathan Wilson zusammen. Drei Jahre später setzte er mit I Love You, Honeybear, das seiner Partnerin gewidmet ist, noch einen drauf, und erreichte in seinem Nihilismus schließlich einen Höhepunkt mit Pure Comedy (2017), wo er lyrisch gegen alles schießt, was sich bewegt – ganz besonders den damaligen US-Präsidenten Donald Trump.
Am Grunde seiner Widersprüche angekommen und zweifellos seiner eigenen Absurditäten überdrüssig (beispielsweise ein eigens kreiertes Parfüm, das nur für Frauen erhältlich war, sowie das satirische Verhalten gegenüber seinen Interviewpartnern und sozialen Netzwerken), konzentriert sich Father John Misty wieder auf das Wesentliche. Nach einem deutlich ruhigeren Karriereabschnitt mit God’s Favorite Customer (2019) begann er das Jahr 2022 mit dem eher klassizistischen Chloé and the Next 20th Century, in dem Sinatra-artige Schnulzen zum Ausdruck kommen, die endlich auch Platz für große Orchestermelodien lassen, die Harry Nilsson oder Randy Newman würdig sind.
Sein sechstes und neuestes Album Mahashmashana handelt vom Tod und dem, was – Tillmans Vermutung nach – danach kommt. Im Sanskrit bezeichnet das Wort einen hinduistischen Verbrennungsplatz. In den Tracks beschwört Father John Misty stille Welten, in denen der Mensch nicht mehr existiert, ein untergehendes Hollywood (Screamland), hinterfragt seine eigene Identität und die Vergänglichkeit aller Dinge. Seine spirituellen und introspektiven Reflexionen folgen einem Pop mit teils üppiger Orchestrierung (wie im Titeltrack, der auch das Album prophezeierisch eröffnet), teils nüchterner (wie der Track à la Serge Gainsbourg Josh Tillman and the Accidental Dose), klassischer (Summer’s Gone) Instrumentierung und unerwarteten Texturen, wie bei Screamland, wo seine Stimme in den Hintergrund gemischt ist, oder She Cleans Up, das die Melodie von Punk Rock Loser der Viagra Boys recycelt. Ein rundum gelungenes Album, das die neue Dimension beweist, die Father John Misty nach seiner langen Reise erreicht hat.