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Interview — Jesper Munk: “Jazz war der erste Punk”

Der deutsch-dänische Musiker wurde mit seiner Stimme und den Debütalben “For in my way it lies” und “CLAIM” landesweit berühmt — bis er sich von der kommerziellen Musikindustrie ab und hin zu einer Entschleunigung seiner Musik wandte. Nun ist Jesper Munk nach fünf Jahren mit seinem nostalgischen “Yesterdaze” zurück und lässt mit Qobuz seine musikalischen Anfänge und die letzten aufregenden Jahre Revue passieren.

Von der Straßenmusik ins Studio

Wir schreiben das Jahr 2012 in München. Als frischgebackener Abiturient hat Jesper Munk vor allem eines im Kopf: Musik machen, egal wo, wann und wie. Er packt seine Gitarre unter den Arm, marschiert zum Reichenbachplatz im Münchener Glockenbachviertel — “seinem” Viertel — und fängt an zu singen. “Ich spielte für eineinhalb Stunden und dadurch war mein Abend gesichert”, erzählt uns heute der Musiker. Doch die Straßenmusik sollte Jesper Munk nicht nur ein persönliches Freiheitsgefühl vermitteln, sondern auch den Startpunkt seiner künstlerischen Karriere einbringen. Eines Tages wurde er von einem Radiomoderator des Bayerischen Rundfunks angesprochen und ins Studio eingeladen, wo Munk für das Abschiedsprojekt des legendären “Studio Zwölf” — ein analoges Holzstudio des BR, in dem die Radiosendungen noch wie in analogen Zeiten mit Moderator, live eingespielten Jingles oder Soundeffekten, gesendet wurden — engagiert wurde. “So eine Sendung ist mir nie wieder passiert”, erzählt Munk, “mein karrieretechnischer Anfang war sozusagen das Closing der alten Welt.”

Auch stilistisch könnte man fast meinen, dass Jesper Munk selbst aus dieser “alten Welt” stammt und sich im falschen Jahrzehnt wiederfindet. Gesegnet mit einer Stimme, die so klingt, als wäre sie in Whisky und Tabak getränkt worden, sticht der damals kaum 20-Jährige klar aus der Menge seiner gleichaltrigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen heraus. Und im Gegensatz zu den aufstrebenden Genres wie Dance Pop, Indie Rock oder Electronic Music entscheidet sich Munk, in den amerikanischen Blues Rock und Soul der 60er-Jahre einzutauchen, ihn zu studieren und zu ehren, um schließlich als Wunderkind und jüngster Crooner Münchens in die lokale Medienlandschaft einzugehen: “Meine Stimme war wie so ein Markenzeichen, ich konnte mich einfach auf diesen Aha-Effekt verlassen, auch wenn es anfangs vielleicht etwas übertrieben war. Wahrscheinlich wollte ich auch einfach so wie die alten Blueser klingen.”

Die Liebe zur Musik wurde Jesper Munk schon früh in die Wiege gelegt. Sein Vater Rainer Germann ist selbst Musiker und Musikjournalist und spielte in der Münchner Indie-Underground-Band Cat Sun Flower, mit dessen Konzerten und musikalischer Kultur Jesper aufwuchs. “Alles war bei uns voller Platten und CDs, darunter hunderte von Bemusterungsbeispielen. Wir hatten die Musikzeitschrift ‘Uncut’ abonniert, da war immer ein Sampler mit dabei, durchgemischt mit Indie-Musik und Brit Pop. Zu Hause liefen auch viel The Beatles, The Cure, Brian Wilson und die Beach Boys. Irgendwann ist mir dann ein Reggae-Soul-Funk-Sampler untergekommen, den ich auf meinem ersten Ghettoblaster rauf und runter gehört habe. Das war meine absolute Lieblings-CD und erster Einblick in diese Soulwelt.”

Trotz seiner Leidenschaft zur Musik und seiner musikalischen Kultur sollte es bis zu seinem 16. Lebensjahr und einem Schulbandprojekt dauern, bis Munk selbst mit dem Musikmachen begann. Als Bassist der Band Lila’s Riot spielte er seine ersten Gigs und brachte sich selbst das Gitarrespielen bei, bis er schließlich anfing, auch eigene Songs zu schreiben. “Ich wollte zuerst nicht das Gleiche wie mein Vater machen oder etwas, wovon er Ahnung hat. Doch irgendwie bin ich im Proberaum gelandet und es hat alles sofort Sinn ergeben. Es ist ein Alter — mit 15, 16 Jahren —, wo zum ersten Mal ganz viele Existenzfragen aufpoppen und man nicht nur der Protagonist im eigenen Leben ist. Bei den ersten Proben hat dann irgendwas fast “spirituell” geklickt, ich war am richtigen Ort angekommen.”

Gleichzeitig zu seinen Band- und Solo-Projekten startete Munks Leidenschaft für die Straßenmusik — die Tatsache, von überall aus und zu jeder Zeit Musik machen zu können, begeisterte schon Generationen von aufstrebenden Musikern und Musikerinnen: “Ich bin damals nach New York zu meiner damaligen Freundin, beziehungsweise dann schon Exfreundin, gefahren. Die hatte mein Herz gebrochen, aber ich bin trotzdem dorthin, weil alles schon bezahlt war. In New York habe ich gesehen, dass wirklich jeder auf der Straße spielt, also habe ich das Gleiche bei meiner Rückkehr in München gemacht. Es kam mir vor wie eine Superpower, als hätte ich irgendwie einen neuen Skill unlocked. Ich musste nie wieder als Kellner arbeiten und ich wusste, wenn ich das nur ein paar Stunden am Tage mache, kann ich davon mein Essen und meine Miete bezahlen. Das war ein richtiges Freiheitsgefühl.”

Major-Deals und Underground-Punkbands

Das Märchen geht auf: Kurz nach der Entdeckung als Straßenmusiker durch den Bayerischen Rundfunk ging Jesper Munk ins Studio und nahm selbst sein erstes Album, For In My Way It Lies (2013), auf. “Die Songs und Texte hatte ich schon länger im Kopf und auch hier meinte mein Vater: ‘Geh doch einfach mal in den Proberaum, stell ein paar Mikrofone auf und drück auf ‘Aufnehmen’ — so ist die erste Platte entstanden. Ich hatte seit der Zeit bei Lila’s Riot und auch davor mit Cat Sun Flower gemerkt, dass sowohl bei unserem Bandleader als auch bei meinem Vater immer etwas Last abfällt, wenn sie einen Song geschrieben haben. Ich wollte auch ein bisschen Gewicht verlieren.”

Entstanden ist eine ausgefeilte und persönliche Blues-Rock-Platte, inspiriert von der Musik B.B. Kings oder John Lee Hookers, mit einer Stimme wie Tom Waits, die nicht nur ihresgleichen sucht, sondern auch Munk auf eine neue Ebene hebt und ihm klar macht: Er will Musiker sein. Von der Presse hochgelobt, dauert es nicht lange, bis auch ein Majorlabel auf ihn aufmerksam wird und ihm einen Plattenvertrag anbietet. Es folgt das Album CLAIM (2015), das gleichzeitig von garstigen Gitarren-Getöse und souligen Kuschel-Bluesnummern geprägt ist und musikalisch seinem Vorgänger weitgehend treu bleibt. Doch Munk hat inzwischen die Stadt und die Band geändert und sich musikalisch weiterentwickelt: es wird experimenteller, jazziger, textlich und kompositorisch anspruchsvoller. Der Nachfolger Favourite Stranger (2018) eröffnet den Fans eine neue, entschleunigte Welt des deutsch-dänisches “Blues-Crooners”, die im Gegensatz zum großen Medienrummel und kommerziellen Musikproduktionen steht. “Ich wollte vieles anders machen, mir vom Label nicht reinreden lassen und mich auch besser kennenlernen. Du bist mit Mitte 20, dein eigener Boss, hast plötzlich alle Freiheiten und möchtest dein eigenes Ding durchziehen, weil du denkst, dass du alles weißt.”

Munk verabschiedete sich also vom Majorlabel, veröffentliche beim kleinen Indie-Label Impression Recordings die EP Darling Colour (2019), gründete die Berliner Underground-Punk-Rock-Band Public Display of Affection (kurz P.D.O.A.) und schloss sich dem Post-Noise/Art-Projekt Plattenbau als Gitarrist und am Keyboard und Synth an. Mit beiden Projekten tourte er durch ganz Europa, teilweise auch Nordamerika, und veröffentlichte mehrere Alben, die sich musikalisch von seiner ursprünglichen Musik entfernen. Ein Neuanfang? Munk antwortet: “Ich selbst habe das nicht so wirklich als Neuanfang gesehen. Ich hatte irgendwie Bock in meiner Fantasiewelt zu leben, eine Punkband zu gründen und ich war — komischerweise — ein bisschen genervt von meiner Erfolgsgeschichte. Andere sind damit viel schöner umgegangen als ich selbst. In dieser ganzen Zeit war bei meinen Solo-Sachen erstmal die Luft raus. Ich hatte nichts zu sagen, es wurde schon viel in anderen Projekten ausgedrückt und es wäre sonst auch sehr artifiziell geworden.”

Liebe auf den ersten Jam: The Cassette Heads

Während Jesper Munk seine persönliche “Sturm und Drang”-Phase vollends auslebt und sich auf die Bandprojekte konzentriert, fegte zeitgleich die Corona-Pandemie über die Welt hinweg. Auftrittsverbote & Kultureinschränkungen folgen, die Haupteinnahmequellen entfallen — der Alptraum eines jeden Indie-Künstlers. Doch es gibt auch Positives, denn auf der Suche nach pandemiebedingten Musikprojekten lernt Munk das Berliner Musikkollektiv und Trio Cassette Heads kennen. Vom ersten Gig ist klar: hier versteht man sich, auch ohne Worte. “Es hat sich angefühlt, wie nach Hause zu kommen”, berichtet Munk. Es matched so gut zwischen Tim Granbacka (Gitarre, Klavier, Synth, Backing Vocals), Hal Strewe (Bass), Ziggi Zeitgeist (Schlagzeug) und Jesper, dass prompt das hochgelobte Cover-Album Taped Heart Sounds entsteht und die Cassette Heads seine neue Tournee-Band werden. Alle drei Musiker fungieren auch abseits von Munk als Produzenten und Komponisten und sind bei vielen Session-Projekten mit unterschiedlichsten Künstlern und Künstlerinnen engagiert, wobei sie Munks Musik von Grund auf verstehen und ihr eine einzigartige Note verleihen.

“Die drei Jungs bringen so eine Art Ruhe rein, das habe ich auch noch nie mit einer Band erfahren. Und gleichzeitig sind es hochtalentierte Musiker. Alle können extrem gut improvisieren, sich Arrangements merken und sehr unterprobt spielen, weil jeder sich gegenseitig auf der Bühne ‘retten’ kann. Jeder Einzelne von ihnen ist selbst Produzent und Songwriter und deswegen geht es immer um die Essenz eines Songs. Dazu ist unsere Dynamik auch total einzigartig: Normalerweise ist der Drummer der disziplinierteste und gibt das Rückgrat, der Bassist bildet die Verbindung zwischen dem Klavier und den höheren Frequenzbereichen mit dem Drummer zusammen und der Pianist/Gitarrist ist eher so die Wildcard. Bei uns ist es genau andersrum: Tim und Hal sind zusammen das Rückgrat, Tim ist mit Abstand der disziplinierteste und Ziggi bringt den Groove rein und hat mit mir zusammen am meisten von dieser Punkattitude — auch wenn sie alle ursprünglich aus dem Jazz kommen. Aber Jazz war ja so wie der erste Punk.”

Das Schaf im Wolfspelz: Versöhnung und Nostalgie mit Yesterdaze

Vom Soul und Blues zum Punk und Jazz — in Jesper Munks Musik können wir alle diese Einflüsse wiederfinden und die musikalische Entwicklung im Laufe seiner Karriere beobachten. Sein neues Album Yesterdaze stellt dabei keine Ausnahme dar und nimmt nichtsdestotrotz einen einzigartigen Platz in Munks Diskografie ein, nicht zuletzt, da auch wieder die Cassette Heads mit an Bord sind. Mit ausgefeilten Texten sowie einer musikalischen “Rückkehr” zum Blues und Soul, nähert sich Munk wieder seinem Frühwerk an.

“Ich hatte sehr lange Probleme damit, mit einer Kultur, dem Blues und Soul, Geld zu verdienen und Musik zu machen, die ursprünglich nicht mir gehört. Das Thema kulturelle Aneignung ist so komplex geworden — wo fängt sie an und wo hört sie auf? Es hat sich unangenehm angefühlt, anderen Leuten, die aus dieser afroamerikanischen Kultur stammen, das Spotlight wegzunehmen. Deshalb habe ich mich auf ‘Favourite Stranger’ auch mehr davon abgewendet… und gleichzeitig habe ich so viel davon gelernt. Die Einfachheit des Ausdrucks und die Ehrlichkeit, die damit verbunden sind — es hat fast einen therapeutischen Charakter. Blues und Soul bleiben in diesem Sinne meine größten Lehrmeister, aber man muss sich mit der Geschichte befassen und lernen, wo man sich wohlfühlt.”

Tracks wie Rush, Champagne Shoes oder Hold On Me erinnern an erste Songs wie Drunk on You, aber auch Bad Magic oder Stranger. Einige Songs stammen noch aus einer Zeit, als Munk frisch nach Berlin gezogen ist, andere entstanden in der Zeit von P.D.O.A. und wieder andere wurden erst vor ein paar Monaten geschrieben. Man kann Yesterdaze quasi als Sammelsurium der letzten Jahre betrachten, mit autobiografischen Zügen, das sich verschiedener, teils sehr intimer Themen annimmt, darunter Eskapismus, Gesellschaftskritik, Erfolg und seiner Schattenseiten bis hin zu Beziehungskrisen und der eigenen Auseinandersetzung der letzten turbulenten Jahre in Munks Wahlheimat Berlin: “Der Versuch, mehr von einem politischen Standpunkt aus zu erzählen, hat irgendwie nicht funktioniert — es wurde irgendwie sehr schnell besserwisserisch. Ich habe dann angefangen, sehr persönliche oder biografische Liebeslieder zu schreiben, aber in einem Kontext, in dem man sich daran erinnert, dass man sich in unserer Zeit befindet.”

Blues und Soul sind meine größten Lehrmeister.

Dazu zählen natürlich Liebe und Herzschmerz, aber auch der innere Konflikt mit sich selbst, sowohl was den eigenen Charakter als auch die Arbeitsweise und den Schreibprozess angeht: “Mir fällt es oft schwer, meine ganzen Ideen zu sammeln und auszuwerten. Man darf Disziplin nicht mit Besessenheit verwechseln. Disziplin habe ich bei mir selbst immer nur im Zusammenhang mit dem Kampfsport erlebt, alles andere war Besessenheit oder Notwendigkeit, völlig impulsgesteuert. Ohne Fristen und Zeitdruck funktioniert bei mir gar nichts, aber ich bin — mit viel Glück — bis heute damit durchgekommen.”

Emotionen, Schweiß und Tränen, eingepackt in das wohlig-warme Gewand von modernem Neo-Soul, jazzigen Vibes, Blues und Chanson, bis hin zu langsamen Indie-Pop — auf verträumte, tiefgründige, ja fast schon sehnsüchtig-melancholische Weise erinnert uns Yesterdaze daran, die Zeit zu entschleunigen und sich auf das Wesentliche zu besinnen. Jesper Munk schafft es nicht nur mit viel Herzblut und Seele, sondern auch unglaublicher Bescheidenheit, seine Musik neu zu erfinden und gleichzeitig zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Oder in Munks Worten:

“Ich würde ‘Yesterdaze’ als Rückblick auf eine sehr verworrene Zeit in meinem Leben sehen, für die ich glücklicherweise die Musik und Worte gefunden habe, um sie — zumindest emotional und musikalisch — zu beschreiben. Man kann es mit Mosaik-Fotos von bestimmten Momenten oder kleinen Meilensteinen vergleichen, in denen es viel um Verlustangst, Liebe oder eben Disziplin vs. Besessenheit geht. Diskussionen mit mir selbst oder mit meiner Partnerin zu der Zeit. Von außen markiert das Album vielleicht eine Art Neuanfang, aber inhaltlich beschreibt es die letzten Jahre. Es ist nostalgisch.”