Electronic Music
Eines der Highlights des Novembers in elektronischer Musik war sicherlich das erste Soloalbum des japanischen Produzenten Chizawa Q, der zwanzig Jahre nach seinen Anfängen mit einer Platte mit feinstem Detroit-Techno und einem Hauch von Jazz-Piano, durchstartet. Eine weitere tolle Platte ist die EP Meaning’s Edge von Djrum, der für die Raffinesse seiner Produktionen bekannt ist. Der Autor von Portrait with Firewood, seinem Meisterwerk aus dem Jahr 2018, lieferte eine neue Abhandlung voll musikalischer Hexerei. Außerdem: Joe Goddard von Hot Chip veröffentlichte mit der amerikanischen Synthie-Expertin Buchla Kaitlyn Aurelia Smith die EP Neptunes. In drei sehr kühnen Titeln (mit zwei Remixen) zeigt das Duo, dass diese Zusammenarbeit Zukunft hat!
Weiter geht es mit der DJ-Kicks-Compilation von Steven Julien, Chef des Londoner Labels Apron Recods (Josey Rebelle, Byron the Aquarius, Delroy Edwards...) und vielseitiger DJ, mit einer eleganten Auswahl, die Chaos In the CBD (das märchenhafte Emotional Intelligence), Ryuichi Sakamoto (mit dem retrofuturistischen Rio), DāM-FunK oder auch Todd Edwards vereint. Perfekt als etwas klassenkämpferischer Soundtrack für Ihr Weihnachtsessen. Und auch der deutsche Electronic-Pionier Fritz Kalkbrenner ist mit seinem neuen Album Third Place zurück, was Sei nicht verpassen sollten.
Fehlt Ihnen noch ein Geschenk? Mit A Beginner’s Guide setzten die Hartnoll-Brüder ihre Durchsicht des Backkatalogs von Orbital fort, einer Pioniergruppe der englischen elektronischen Musik. Ein umfassender Leitfaden mit allen Höhepunkten ihrer Karriere!
Rock & Alternative
Absolutes November-Highlight ist sicherlich die neue Platte von The Cure. Robert Smith beendete sein 16-jähriges Schweigen mit Songs of a Lost World, einem 14. Album mit Post-Punk-Attitüde, das die große Ära von Disintegration (1989) wieder aufleben lässt und zeigt, dass der 60-Jährige mit den karminroten Lippen und den zotteligen Haaren nichts von seinem Songwriting verloren hat.
Am selben Tag zollte eine Gruppe junger japanischer Künstler, gemeinsam mit Mac DeMarco und Sam Gendel, dem vielseitigen Genie ihres geistigen Vaters vom Yellow Magic Orchestra, Haruomi Hosono, Tribut, indem sie seine 1973 erschienene Kultplatte Hosono House neu interpretierte. Und auch Kim Deal sorgte mit ihrem ersten Soloalbum, dem poetischen und melodischen Nobody Loves You More, für Aufsehen. Die Frontsängerin der Breeders hatte den richtigen Riecher, als sie vor zehn Jahren das Pixies-Schiff verließ.
Eine weitere Besonderheit ist das Wohltätigkeitsprojekt der Organisation Red Hot, das die Transgender- und Nicht-Binär-Gemeinschaft ins Rampenlicht stellt. TRANSA vereint rund 100 Künstler*innen um 46 Lieder, in denen man Stimmen wie Sade oder ANOHNI, überraschende Artists wie Hand Habits und Bill Callahan oder bekannte Vertreter*innen wie Devendra Banhart und Beverly Glenn-Copeland begegnen kann.
Wir schließen diese Auswahl mit einer absoluten Perle ab: Mahashmashana von Josh Tillman alias Father John Misty. Mit schönsten Gitarrenklängen, Streicherbegleitungen und Folk-Einflüssen öffnet der Sänger sein Herz auf dieser “authentisch außergewöhnlichen” Retro-Art-Pop-Platte.
Blues, Country, Folk
Frei, progressiv und abtrünnig — genau das lieben wir an Countrymusik, besonders wenn sie reimt, klingt und knallt wie Willie Nelson und Dolly Parton. Diese beiden Ikonen sind mit bemerkenswerten Alben zurückgekehrt: Last Leaf on the Tree von Nelson und Smokey Mountain DNA: Family, Faith and Fables von Parton - ein hundertprozentiges und persönliches Familienprojekt. Nur eine Frage bleibt: Wann kommt das Duo-Album Willie & Dolly?
In der Abteilung Honky Tonk und nach dem Motto “Früher war alles besser und heute ist es immer noch gut” stechen zwei Neuauflagen hervor: Zum einen Butcher Holler von der Sängerin Eilen Jewell, ein Album mit Coverversionen der großen Loretta Lynn und der bluesigen Gitarre von Jerry Miller, das ursprünglich 2010 erschien und immer noch eine wahnsinnige Klasse hat. Zum anderen die Wiederauferstehung, die wie eine Offenbarung klingt, von All American Music der Flatlanders, mit dem unnachahmlichen und unschätzbaren Jimmie Dale Gilmore als Sänger. Das Album wurde ursprünglich 1972 nur im 8-Spur-Kartuschenformat veröffentlicht.
Als Erbe der vorgenannten ist auch der immer noch kultige Dwight Yoakam mit einem Brighter Days zurückgekehrt: eine Mischung aus Honky Tonk Country und dem Rock der 90er Jahre, das ohne die Tricks der zeitgenössischen Produktion auskommt.
Abschließend sollten Sie den unklassifizierbaren, überraschenden und fesselnden Beethoven Blues des Starpianisten von New Orleans (und vielen anderen Dingen) Jon Batiste entdecken. Eine Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass Beethoven 1822 Boogie-Woogie spielte…
Soul und R&B
Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die amerikanische Sängerin 070 Shake das wunderschöne Album Petrichor, ein meisterhaftes Werk, wie so ziemlich alles, was sie in den letzten zehn Jahren produzierte. Nach ihren atemberaubenden musikalischen Höhenflügen scheint sie nun wieder auf die Erde zurückzukehren, um sich in die Intimität und die übersteigerten Emotionen zu begeben, bevor sie das nächste Mal in den Kosmos abhebt.
Darüber hinaus bescherte uns der britische Sänger und Musiker Michael Kiwanuka sein neues und wunderschönes Album Small Changes, das sich in die Reihe seiner vorherigen Meisterwerke KIWANUKA und Love & Hate einreiht.
Aber dieser November war vor allem von der Nostalgie der 90er und 2000er Jahre geprägt, insbesondere mit dem Londoner Trio FLO, dessen erstes Album Access All Areas eine unverhohlene Hommage an die damaligen R&B-Gruppen ist, wie TLC, Mis-Teeq oder die Jamaikanerinnen von Brick and Lace. Apropos TLC: Ihr legendäres Album CrazySexycool wurde anlässlich seines 30-jährigen Jubiläums in einer leicht erweiterten Version veröffentlicht, und auch Whitney Houston Live-Auftritt vom November 1994 in Durban, Südafrika, kann jetzt per Streaming wiederentdeckt werden.
Und wenn wir schon bei den weiblichen R&B-Legenden sind, sollten wir auch das neue Album von Queen Mary J. Blige, Gratitude, erwähnen, das von der Idee der Heilung und spirituellen Erlösung durchdrungen ist.
Jazz
Die Jazz-Neuheiten in diesem November werden von der Wiederentdeckung einer Reihe außergewöhnlicher Bootlegs beherrscht: Der Pianist Keith Jarrett wurde 1992 mit einem bislang unveröffentlichten Trio bestehend aus Gary Peacock und Paul Motian aufgenommen. Diese Aufnahme, The Old Country, ist nun bei ECM erschienen. Auch Miles Davis ist diesen Monat mit dabei: In den Jahren 1963–1964 tourte Davis durch Frankreich, während er sein “zweites Quintett” formierte, was auf der Bootleg Series Vol.8 dokumentiert wurde. Schließlich entstand 1966 ein herausragendes, jedoch kurzlebiges Quartett, das vom Pianisten McCoy Tyner und dem Saxophonisten Joe Henderson für einen Auftritt im Slugs ins Leben gerufen wurde, festgehalten auf Forces of Nature : Live at Slugs.
Eine weitere legendäre Stimme, die durch eine bislang unveröffentlichte ECM-Session des dänischen Gitarristen Jakob Bro vor zehn Jahren wiederbelebt wurde, ist der Saxophonist Lee Konitz, der das wunderschöne Taking Turns mit seinem lyrischen Genie beleuchtet. Unbestreitbar bewegend und “historisch” ist auch die letzte posthume Platte von Al Jarreau, die dem Repertoire von Duke Ellington gewidmet ist (Ellington).
Unter den echten Neuheiten ist vor allem das großartige Duo des Kontrabassisten Dave Holland und des beninischen Gitarristen Lionel Loueke hervorzuheben, das in United neue Verbindungen zwischen Jazz und afrikanischer Musik knüpft. Und auch das Ensemble Emile Londonien bestätigte mit Inwards seine Führungsrolle in der großen Generationenbewegung, die den Jazz mit neuen Formen der Fusion mit Pop- und Stadtmusiktrends verbindet.
Das kosmopolitische Trio des Schweden Lars Danielsson mit dem Briten ohn Parricelli und dem Finnen Verneri Pohjola vereinte sich für eine Platte, die sein Universum zwischen Jazz, klassischer Musik, Pop und nordischen Folkloretraditionen entwickelt. Abschließend ist noch die sehr “spirituelle” Begegnung zwischen Arne Jansen, Anders Jormin und Uwe Steinmetz zu nennen, die sich mit The Pilgrimage auf die Erforschung von Innenräumen einlassen und durch die gleiche lyrische Tiefe verbunden sind.
Klassik
Das umfangreiche Klavierrepertoire wurde in diesem November mit zahlreichen qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen bedient. Unüberhörbar ist dabei das große Comeback von Francesco Tristano, der bei Naïve eine Lobeshymne an seinen Lehrmeister J.S. Bach schreibt und eine Interpretation der 6 Partiten liefert, die durch ihre Meisterschaft und Strenge verblüfft.
Außerdem sollten Sie nicht das neoklassische Projekt von Pascal Schumacher und Danae Dörken, Glass Two (Neue Meister), verpassen, das eine vierhändige Hommage an Philip Glass präsentiert.
Weiter geht es mit dem Geburtstagsalbum von William Christie, der am 19. Dezember 80 Jahre alt wird. Mit Bill & Friends präsentiert uns der englische Dirigent und Leiter der Les Arts Florissants ein fabelhaftes Barock-Kammermusik-Album auf historischen Instrumenten mit herausragenden Solisten und Solistinnen.
Wir bleiben im Bereich der Barockmusik und durften diesen Monat die neue und fabelhafte Einspielung von Johann Adolph Hasses Serpentes ignei in deserto entdecken. Das Oratorium erzählt in nur acht Arien und einem Duett von den brennenden Schlangen, die Gott den Israeliten in der Wüste für ihre Verfehlungen schickt — perfekt für eine Starbesetzung mit unter anderem Philippe Jaroussky, Julia Lezhneva, Jakub Józef Orliński, Bruno de Sá und natürlich das Orchester Les Accents.
Um den Monat gebührend abzuschließen, sollten Sie diese beiden Solisten nicht verpassen: Der französische Cellist Edgar Moreau mit seiner Rokoko-Variationen von Tschaikowsky und Werken von Chopin, Dvořák und Rachmaninoff (Erato) sowie die aufstrebende britische Flötistin Lucie Horsch mit The Frans Brüggen Project (Decca), auf dem sie dem niederländischen Flötisten und Pionier der Alten Musik Frans Brüggen (1934-2014) alle Ehre erweist.
Metal
Als Endspurt vor den Feiertagen gibt es noch einige Veröffentlichungen, die sicherlich unter dem Weihnachtsbaum nicht fehlen dürfen: Die mit Inbrunst erwarteten Opeth setzten ihre Füße wieder in den Growl (den berühmten Growl-Gesang, der im Death Metal so beliebt ist), ohne etwas von ihrer progressiven Seite zu verlieren. The Last Will And Testament könnte das Album der Versöhnung mit einem großen Teil der alten Fans sein.
Ebenfalls progressiv, aber mehr im Midtempo-Bereich angesiedelt, kehrten Klone mit The Unseen auch zum Saxophon und zu experimentellen Klängen in den Vordergrund zurück.
Thy Catafalque, eine weitere Randgruppe mit sprudelnder Kreativität, wechselt weiterhin von den poetischsten ätherischen und verträumten Stimmungen zu einem viel extremeren Metal in nur wenigen Riffs, XII: A gyönyörű álmok ezután jönnek ist ein weiterer Beweis dafür.
Schließlich gibt es noch zwei absolute Größen zu nennen: Linkin Park feierten ihr langersehntes Comeback mit From Zero. Nach dem Tod des Leadsänger Chester Bennington tritt nun die Sängerin Emily Armstrong in seine Fußstapfen und macht der Band alle Ehre. Ein gelungener Neuanfang für alte und junge Fans!
Außerdem lädt Marilyn Manson mit seinem Album One Assassination Under God – Chapter 1 zu den Feierlichkeiten ein. Dieses Album wird genauso kritisch betrachtet wie die Nachrichtensendungen, die seine Probleme mit der Justiz nach den Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe aufzeigen.
Rap
Kendrick Lamar überraschte mit GNX und 12 schelmischen Titeln, die von spanischen Gitarren heimgesucht werden. Das Album ist um einiges roher als sein Vorgänger und steht in der Tradition der verheerenden Single Not Like Us, die Mitte des Jahres erschien. Eine perfekte Antwort für all diejenigen, die seine ästhetischen, aber dennoch geschmackvollen Seitenschritte bedauerten.
In einem etwas schulmäßigeren, aber dennoch meisterhaften Genre veröffentlichte Freddie Gibbs You Only Die 1nce, sein sechstes Album, das in einem einzigen lapidaren und düsteren Satz geschrieben wurde und in dem die Titel Rabbit Island und Origami als Höhepunkte fungieren.
Nach New York geht es diesmal mit dem neuen Album des Brooklyn-Drill-Wunderkinds Sheff G, das den Titel Proud of Myself trägt. Auch wenn er sich von seinem bevorzugten Subgenre abwendet und sich an klassischere Klänge wagt, beweist seine Single Everything Lit, dass Sheff G sich weiterentwickelt.
Schließlich veröffentlicht Maxo Kream, ein Rapper, der nie alt zu werden scheint, mit Personification sein viertes Album, das sicherlich sein gewagtestes ist. Das Featuring Cracc Era mit Tyler, The Creator spiegelt sein Talent wider, ebenso wie das bewegende Drop Top Impala.